Alles nur geträumt? – Erste Fälle der Schlafkrankheit der Karpfen in Baden-Württemberg

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Elisabeth Nardy

 

Erstmals trat im Jahr 2015 nun auch in Baden-Württemberg die Schlafkrankheit der Karpfen und Kois (engl.: Koi Sleepy Disease, KSD) auf. Das CVUA Stuttgart ließ im vergangenen Jahr vermehrt Proben auf den Erreger dieser Erkrankung untersuchen, nachdem sich Berichte aus benachbarten EU-Staaten und auch aus anderen Bundesländern über das Auftreten der Schlafkrankheit häuften. Verdächtige Proben wurden zur Diagnostik auf CEV (Carp Edema Virus) an das nationale Referenzlabor für Viruskrankheiten (Friedrich-Löffler-Institut, FLI) weitergeleitet. Bei 8 Proben des CVUAS wurde der CEV-Verdacht bestätigt. Dieses Virus verursacht die sog. Schlafkrankheit, wobei die Fische zunächst apathisch sind, später auch auf der Seite liegen (daher der Name) und letztlich verenden.

 

Erste Untersuchungen auf die Schlafkrankheit der Karpfen und Kois wurden am CVUA Stuttgart ab Mai 2015 eingeleitet, nachdem vom Auftreten dieser Erkrankung auch in Deutschland berichtet wurde. Dabei wurden gezielt Proben ausgesucht, die vom Vorbericht oder der Symptomatik für CEV verdächtig. Insgesamt wurden 2015 14 Proben von 9 verdächtigen Betrieben am FLI (Nationales Referenzlabor für Viruskrankheiten, Insel Riems) untersucht, wobei sich letztlich in 8 Proben aus 5 Betrieben das Virus der Schlafkrankheit nachweisen ließ. Eine Übersicht über die nachfolgend ausführlicher beschriebenen Befunde ist aus folgender Tabelle ersichtlich.

 

Tabelle 1: Übersicht positive CEV-Nachweise 2015 (neg = negativ, n.d. = nicht durchgeführt)
  Fall 1 Fall 2 Fall 3 Fall 4 Fall 5

Einsendung im

Mai

Juni

Juli

August

November

CEV positive Tiere

2 Karpfen

1 Karpfen

1 Koi und 1 Goldfisch

2 Kois

1 Karausche

Haltung

Angelsee

Privater Fischteich

Gartenteich

Schauteich

Grundwassersee

Verluste

10 – 20 % nur Karpfen

30 % nur Karpfen

50 % Goldfische und Kois

2 Kois

> 100 Goldfische und
Karauschen

Pathologische Befunde

eingefallene Augen, Hautrötung

eingefallene Augen,
Hautrötung

Geschwüre, Kiemennekrose

eingefallene Augen, Hautrötung

eingefallene Augen

Histologische Befunde

n.d.

Gefäßthromben in Niere und Darm

n.d.

Hepatozten vereinzelt

Gefäßthromben in Niere

Koi Herpesvirus

neg

neg

neg

neg

neg

Frühjahrsvirämie

neg

neg

n.d.

neg

n.d.

Bakteriologische Untersuchung

Unspezifisch

Aeromonas sp.

n.d.

Aeromonas sp.

Aeromonas salmonicida

Parasitologische Untersuchung

n.d.

Bandwürmer

n.d.

Ektoparasiten

n.d

 

Vorberichte und Klinik

Alle Fische wurden aufgrund massiven Fischsterbens in den jeweiligen Beständen zur Untersuchung ans CVUAS eingesandt, wobei insbesondere die anzeigepflichtige Fischseuche Koi-Herpesvirus ausgeschlossen werden sollte.

 

Bei zwei Einsendungen im späten Frühjahr (Mai und Juni) kam es zu Fischsterben in Karpfenteichen im Naturgewässer (Angelsee und privater Fischteich), wobei in beiden Fällen ausschließlich ältere Karpfen verendeten. Die Verluste beliefen sich auf ca. 20 – 30 % des Bestandes. Erkrankte Karpfen zeigten Apathie, keine Nahrungsaufnahme, Taumeln und fehlendes Fluchtverhalten.

 

Bei zwei weiteren Einsendungen im Sommer (Juli und August) waren Koi-Karpfen von einem Verlustgeschehen betroffen. In einem Gartenteich kam es zu hohen Ausfällen (ca. 50 %) nach Zukäufen.

 

Die Fische zeigten Atemnot und Apathie und verendeten plötzlich. Im zweiten Fall kam es plötzlich nacheinander zum Verlust von zwei älteren Koi, die in einem Schauteich gehalten wurden. Weitere Symptome wurden hier nicht beobachtet.

 

Beim letzten Schlafkrankheit-Fall aus 2015 handelt es sich um ein fischereilich nicht genutztes Wildgewässer (Wasserrückhaltebecken), in dem sich Goldfische und Karauschen unkontrolliert vermehrten. Hier kam es im November 2015 zu einem Fischsterben mit mehreren hundert toten Goldfischen und Karauschen. Weitere Symptome wurden hier nicht beobachtet.

 

Bei vier der fünf Fälle wurden zusätzlich Wasserproben auf Standard-Wasserparameter untersucht, die sich allesamt als unauffällig erwiesen.

 

Pathologisch-anatomische und histologische Befunde

Alle an der Schlafkrankheit verendeten Fische wiesen deutlich eingefallene Augen (Enophthalmus) auf. Zusätzlich gab es in vier Fällen Hautveränderungen mit Hautrötungen oder Geschwüren (Abb.1). Deutliche Kiemennekrosen lagen bei einem Koi des Gartenteiches (Abb. 2 und 3) vor. Die Beurteilung der Kiemen gestaltete sich ansonsten aufgrund bereits fortgeschrittener Autolyse als schwierig.

 

Die inneren Organe waren in allen Fällen augenscheinlich unauffällig, allerdings hatten die Fische allesamt einen leeren Verdauungstrakt, also keine Nahrung mehr aufgenommen.

 

Die feingeweblichen histologischen Untersuchungen waren aufgrund fortschreitender Fäulnis nur schwer auswertbar. Auffällig waren in einem Fall eine Vereinzelung der Leberzellen. In einem weiteren Fall lag ein Kiemenödem mit Proliferation und Entzündung der Sekundärlamellen-Epithelien vor, die anderen Kiemen waren aufgrund von Autolyse nicht auswertbar.

 

Abb. 1, 2 und 3.

Abb. 1 (links): Karpfen mit eingefallenen Augen und Hautrötungen.

Abb. 2 (mitte): Koi mit Kiemenschäden und Geschwür an Flossenbasis.

Abb. 3: Koi-Kieme mit Ödem und Nekrosen.

 

Weitere Untersuchungen

Die anzeigepflichtige Koi-Herpesvirus-Infektion wurde in allen Fällen ausgeschlossen. In drei Fällen wurde zusätzlich noch das Virus der Frühjahrsvirämie der Karpfen ausgeschlossen. Die bakteriologische Untersuchung ergab in zwei Fällen eine Sepsis mit motilen Aeromonaden, kombiniert mit einem Parasitenbefall. Bei den Fischen aus dem Wasserrückhaltebecken lag eine Aeromonas salmonicida-Infektion vor.

 

Diskussion und Ausblick

Bei den erkrankten Fischen beobachteten die Tierhalter eine dem Fischsterben vorausgehende deutliche Apathie, verbunden mit Fressunlust, taumelnden Bewegungen und fehlendem Fluchtreflex. Das in der Literatur beschriebene „Schlafen“ der Fische mit Ablegen auf dem Boden wurde von den Tierbesitzern nicht beobachtet. Ein solches Verhalten kann jedoch aufgrund der Teichwassertrübung im Karpfenteich schwer zu beobachten sein. Zusammen mit dem Verlustgeschehen und den pathomorphologischen Befunden (eingefallene Augen, Hautrötungen, Geschwüre, Kiemenschäden) kann der Verdacht des Vorliegens der Schlafkrankheit geäußert werden. Eine Auswertung der histologischen Veränderungen an den Kiemen war leider nur in einem Fall möglich. Sie entsprechen dem eines Kiemenödems mit Kiemenentzündung, wie dies auch typischerweise bei Vorliegen der Schlafkrankheit beschrieben wird.

 

Die ganzen hier beschriebenen Symptome ähneln sehr der Erkrankung der anzeigepflichtigen Koi-Herpesvirus-Infektion, weshalb eine Abgrenzung aufgrund der Symptomatik nicht möglich ist.

 

Interessanterweise betrafen die Positivbefunde bei Fall 3 auch einen Goldfisch und bei Fall 5 eine Karausche, so dass von einem weiteren Wirtsspektrum als nur dem Karpfen bzw. Koi (Cyprinus carpio), wie bisher in der Literatur beschrieben, ausgegangen werden muss.

 

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Schlafkrankheit vor den baden-württembergischen Grenzen nicht Halt gemacht hat und sowohl in Karpfen- als auch bei Koi-Haltungen Schäden verursacht. Es ist auch anzunehmen, dass die Erkrankung bereits längere Zeit hierzulande unentdeckt kursierte. Aussagen über die tatsächliche Verbreitung bedürfen jedoch weiterer flächendeckender Untersuchungen. Auch im Jahr 2016 gibt es bereits erste Verdachtsfälle. Die CEV-Infektion ist neben der Infektion mit dem Koi- Herpesvirus oder dem Virus der Frühjahrsvirämie unbedingt als mögliche Ursache für Karpfensterben zu berücksichtigen. Ein Zusammenhang mit Stressoren wie Überbesatz, Umsetzen oder durch weitere Erkrankungen erscheint wahrscheinlich und kann durch unsere Beobachtungen bestätigt werden. Da in der Karpfenteichwirtschaft Maßnahmen wie Aufsalzen oder Temperaturerhöhung zur Minderung der Sterblichkeitsrate, wie dies bei den Kois durchgeführt wird, nicht möglich sind, kann man hier nur auf allgemeine prophylaktische Maßnahmen bzw. Sanierungsmaßnahmen im Seuchenfall zurückgreifen.

 

Die Schlafkrankheit ist nicht auf den Menschen und andere Säugetiere übertragbar und für sie nicht schädlich!

 

Infokasten

Virus der Schlafkrankheit der Koi und Karpfen (CEV oder KSDV)

Für ein und dasselbe Virus kursieren verschiedene Bezeichnungen, die sich aus der beobachteten Klinik herleiten lassen, nämlich CEV (Carp Edema Virus) oder KSDV (Koi Sleepy Disease Virus). Hierbei handelt es sich um ein Pockenvirus, welches erstmals in den 1970er Jahren in Japanischen Koi-Zuchten beschrieben wurde. Die Krankheit ging dort mit 80 – 100 % Verlusten und massiver Apathie einher. Die Fische legten sich auf den Boden, wie wenn sie schlafen würden, was ihr den Namen „Schlafkrankheit“ gab. Meist wurde die Erkrankung beim Umsetzen von Koi aus den Erdteichen in die Hälterungen bei Wassertemperaturen zwischen 15 und 25 °C beobachtet.

 

Vorkommen: Erste Publikationen über das Auftreten dieser Erkrankung in Europa gibt es seit 2013 aus England und Niederlanden, gefolgt von zahlreichen Berichten anderer EU-Staaten, wie z.B. Österreich aus 2014 und Deutschland 2015. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Erkrankung bereits länger unentdeckt vorhanden war.

Betroffen sind Koi-Karpfen und Nutzkarpfen. Klinische Ausbrüche der Erkrankung gibt es hauptsächlich im Frühjahr und Herbst oft gekoppelt mit Stress und ungünstigen Haltungsbedingungen.

 

Krankheitsbild: Erkrankte Fische sind apathisch, fressen nicht mehr und legen sich z.T. auf den Boden. Äußerlich fallen verdickte, ödematisierte Haut mit Hautdefekten, eingefallene Augen, sowie Kiemenschwellung mit -schäden (Kiemennekrose) auf. Die Sterblichkeitsrate kann bis zu 80 % betragen!

 

Pathologie: Am auffälligsten sind stark ödematisierte Kiemen mit z.T. Sekundärlamellenepithel-Hyperplasien und Kiemennekrosen, die zu Dyspnoe und Hypoxie und letztlich zu der beobachteten Apathie führen.

 

Therapie: Es gibt keine Therapie gegen das Virus. Salzbäder mildern den Krankheitsverlauf.

 

Diagnose: Untersuchungen von Kiemengewebe mittels PCR ermöglichen die Sicherung des Befundes.

 

Differentialdiagnose: Die Erkrankung mit dem CEV kann leicht mit der anzeigepflichtigen Koi-Herpesvirusinfektion verwechselt werden. Weitere Differentialdiagnosen sind die Frühjahrsvirämie der Karpfen oder das Energiemangelsyndrom.

Quellen:

[1]        Haenen,O., Way,K., Stone,D., Engelsma,M., 2013. Koi Sleepy Disease found for the first time in koi carps in the Netherlands. (in Niederländisch)Tijdschr.Diergeneeskd.5: 26–29.
[2]        Jung-Schroers,V., Adamek,M., Teitge, F., Bergmann, S.M., Schütze,H., Kleingeld,D.W., Way,K., Stone,D., Runge,M., Keller,B., Hesami,S., Waltzek,T., Steinhagen,D., 2015. Another potential carp killer?: Carp edema Virus disease in Germany. Vet Res 11:114
[3]        Lewisch,E., Gorgolione,B., Way,K., El-Matbouli,M., 2014. Carp Edema Virus/Koi Sleepy disease: an emergin disease in central-east Europe. Transbound.Emerg.Dis. 62 (2015) 6–12
[4]        Murakami et al., 1976.Studies on mass mortality of juvenile carp: about mass mortality showing edema. (in Japanisch) Bull.Hiroshima Fresh Water Fish Exp.Stn. 19–23.
[5]        Way,K. and D. Stone, 2013. Emergence of carp edema virus like (CEV-like) disease in UK. Finfish News 15, 32–34.

 

Bildernachweis

CVUA Stuttgart.

 

Artikel erstmals erschienen am 24.06.2016