Aloe-Blätter – Die Selbstzubereitung von Aloe-Gel im Haushalt birgt Risiken

Aufgrund des Anthranoidgehaltes der Aloe Vera-Blätter erfordert die Selbstzubereitung von Aloe Vera-Gel große Sorgfalt

Ein Bericht aus unserem Laboralltag

Dr. Christiane Lerch, Michaela Barthmann und Inge Gronbach

 

Derzeit werden im Einzelhandel ganze Aloe-Blätter angeboten. Laut Etikettierung handelt es sich um die Species „Aloe Vera Barbadensis Miller“. Zum Verzehr ist das gelartige Blattinnere bestimmt. Gemäß einem beigefügten Zubereitungshinweis aus einem „Anhänger“ sollen die grünen äußeren Blattteile aufgrund ihres bitteren Geschmacks und der abführenden Wirkung gründlich entfernt werden. Zur Gewinnung des inneren Blattgels soll das Blatt in Streifen geschnitten, das Gel herausgetrennt und vor dem Verzehr mit Wasser abgespült werden.
Als tägliche Verzehrsmenge werden 100 g Gel empfohlen.
Ein Versuch am CVUA Stuttgart zeigt, dass trotz Einhaltung dieser Verwendungshinweise unter haushaltsüblichen Bedingungen das Risiko besteht, dass hohe Mengen an toxikologisch bedenklichen Stoffen aus der Klasse der sog. „Anthranoide“ (syn.: Anthrachinone) aus der äußeren Blattschicht in das verzehrfertige Blattgel gelangen können.

 

Abb. 1: Aloe vera (Foto: sarangib/Pixabay, CC0 Public Domain).

Abb. 1: Aloe vera (Foto: sarangib/Pixabay, CC0 Public Domain)

 

Das innere Blattgel von Aloe Vera Barbadensis Miller wird traditionell seit vielen Jahren als Lebensmittel verzehrt.

Das industriell gewonnene pure Blattgel ist unter der Bezeichnung „Aloe Vera-Saft“, „Aloe Vera-Gel“ oder auch als „Aloe Vera-Drink“ erhältlich und wird auch in Zubereitungen mit anderen Lebensmitteln angeboten.

Die Pflanze Aloe Vera enthält sog. „Anthranoide“. Anthranoide (syn.: Anthrachinone) wie Aloin A und Aloin B sind pflanzliche Stoffe, die außer in Aloeblättern u.a. auch in Sennesblättern und Medizinalrhabarberwurzeln vorkommen [1].

 

Abbildung 1: chemische Formel von 1,8-Dihydroxyanthron.

Abb.2: 1,8-Dihydroxyanthron – das gemeinsame Grundgerüst der Anthranoide [1]

 

Diese bitter schmeckenden Stoffe liegen in der Oberschicht des Aloe-Blattes konzentriert vor. Ein gelbes Sekret, das von Gefäßbündeln („Latexschicht“) unterhalb der grünen Blattrinde abgesondert wird, enthält besonders hohe Mengen an Aloin [2], [3a, b, c].

 

Abb. 3: Schematischer Querschnitt eines Aloe-Blattes.

Abb. 3: Vereinfachter Querschnitt eines Aloe-Blattes

 

Anthranoide wie Aloin sind starke Laxantien (Abführmittel). Außerdem besteht bei dieser Stoffklasse der begründete Verdacht auf eine krebserzeugende Wirkung. Ihr Vorkommen in Lebensmitteln ist deshalb unerwünscht.

Für Arzneimittel, die anthranoidhaltige Drogen enthalten, wurden bereits 1999 strikte Indikationseinschränkungen vorgenommen sowie die Apothekenpflicht eingeführt. Auch ist die Anwendungsdauer auf einen kurzen Zeitraum begrenzt worden. Ein zweijähriges Programm des National Institutes of Health (NHI) der USA hat 2013 eine klare Evidenz für die kanzerogene Wirkung eines Ganzblattextraktes von Aloe Vera bei Ratten gezeigt [3a, b, c].

Ganzblattextrakte von Aloe Vera werden durch die International Agency for Research on Cancer der WHO (IARC) wie folgt eingestuft [4]: “Whole leaf extract of Aloe Vera is possibly carcinogenic to humans“.
Bei der industriellen Herstellung von Aloe Vera Blattgel wird die aloinhaltige Blattoberschicht aus diesen Gründen sorgfältig abgetrennt und das gewonnene Blattgel ggf. weiter technologisch behandelt, um die Anthranoide abzutrennen [5].

 

Bei den in den letzten Jahren in Baden-Württemberg untersuchten Proben Aloe-Gel bzw. -Saft lagen die Gehalte an Aloin unter 0,1 mg pro kg.

 

Vom CVUA Stuttgart wurde in einer aus dem Handel erhobenen Probe eines ganzen Aloe Vera-Blattes der Gesamt-Aloingehalt untersucht. Geprüft wurde der Aloingehalt der bei der Zubereitung erhaltenen Blattabschnitte. Dabei wurden im Verbraucherhaushalt üblicherweise vorhandene Werkzeuge (Messer, Geschirr, Sieb etc.) verwendet und diese in haushaltsüblicher Weise eingesetzt. Die Versuchsschnitte aus dem vorgelegten Blatt wurden aus dem zentralen, „dicken“ Bereich des Blattes nach den Zubereitungshinweisen auf dem angehängten Etikett hergestellt.

 

Der Aloingehalt des abgetrennten und gewaschenen Blattgels betrug 31 mg pro kg. Der Geschmack dieses Gels war anhaltend bitter. Das abgetrennte, nicht abgewaschene Blattgel wies einen Aloingehalt von 52 mg pro kg auf. Wurde der grüne Rand des Blattes nicht entfernt (s. Abb. 3), betrug der Gehalt an Aloin im Blattabschnitt 520 mg pro kg.

 

Abb. 3: Blattschnitt nach Zubereitungshinweis.

Abb. 4: Blattschnitt nach Zubereitungshinweis

 

Das selbst gewonnene, mit Wasser abgespülte Gel enthielt mit 31 mg Aloin pro kg einen um ca. den Faktor 300 höheren Aloingehalt als die untersuchten industriell hergestellten Produkte. Die Anthranoidgehalte von Aloe Vera-Blättern sind sehr variabel. Sie hängen u.a. vom verwendeten Blattteil, sowie den Klima- und Kultivierungsbedingungen der Pflanze ab [2]. Bei Selbstherstellung des Gels im Haushalt spielen die Umstände der Blattbearbeitung eine entscheidende Rolle.

 

Der Aloingehalt in einem selbsthergestellten Aloe Vera-Gel kann aufgrund dieser Umstände nur schwer kalkuliert werden.

 

Die Ergebnisse der anhand eines Blattes durchgeführten Untersuchung am CVUA Stuttgart verdeutlichen, dass beim Zerschneiden von Aloeblättern das in der Außenschicht vorkommende Aloin über die Schnittflächen des Gels verteilt wird und durch haushaltsmäßiges Abspülen mit Wasser u.U. nicht ausreichend entfernt wird bzw. werden kann. Bei Einhaltung der täglichen Verzehrsmenge von 100 g des bei diesem Versuch gewonnenen, abgewaschenen bzw. nicht abgewaschenen Gels werden 3,1 bzw. 5,2 mg Aloin aufgenommen.

 

Mit einer deutlich abführenden Wirkung muss ab Aufnahmemengen von 20 bis 30 mg Aloin gerechnet werden [6].

Die in 100 g eines ungeschälten Blattabschnitts enthaltene Aloinmenge von 52 mg zeigt jedoch, dass bei unvorsichtiger, unvollständiger Abtrennung der oberen Blattschicht noch deutlich höhere Aloinmengen in das Gel gelangen können. Bei anthranoidhaltigen Arzneimitteln empfiehlt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die tägliche Zufuhr von 30 mg dieser Stoffe nicht zu überschreiten und die Präparate nicht länger als 1 bis 2 Wochen anzuwenden [6]. In einem aktuellen Bericht (April 2017) rät die Stiftung Warentest vom Gebrauch derartiger Arzneimittel aufgrund der „vergleichsweise drastischen Wirkung“ ab [7].

 

Verbrauchertipp

Die Selbstzubereitung von Aloe Vera-Gel aus ganzen Blättern bedarf aufgrund der darin enthaltenen Anthranoide wie Aloin besonderer Sorgfalt.
Ein Versuch am CVUA Stuttgart zeigt, dass auch bei Einhaltung der Zubereitungshinweise Bestandteile der aloinreichen Latexschicht in das verzehrsfertige Gel übertragen werden können. Dies kann zum Verzehr erheblicher Mengen an Aloin führen.

Aufgrund des kanzerogenen Potentials von Anthranoiden und deren abführender Wirkung empfiehlt das CVUA Stuttgart Aloe Vera Gel nicht selbst herzustellen, sondern auf industriell produzierte Produkte zurückzugreifen.

 

Quellen

[1] http://www.pharmawiki.ch/wiki/index.php?wiki=Anthranoide (abgerufen am 21.4.2017)

[2] Growth, soluble carbohydrates, and aloin concentration of Aloe vera plants exposed to three irradiance levels. A. Paez et al., Environmental and Experimental Botany 44 (2000), 133–139

[3a] NTP-Program Aloe Vera (Zusammenfassung); Headquartered at the National Institute of Environmental Health Science NIH-HHS, June 2016

[3b] National Toxicology Program – technical report: Aloe Vera; (abgerufen am 21.4.2017)

[3c] Clear Evidence and Carcinogenic activity by a Whole-Leaf Extract of Aloe barbadensis (Aloe vera) in F344/N-Rats. M.D. Boudreau et. al., Toxicological Sciences 131 (1) 26–39 (2013)

[4] http://monographs.iarc.fr/ENG/Monographs/vol108/mono108-01.pdf ) (abgerufen am 21.4.2017)

[5] Processing of Aloe Vera Leaf Gel: A Review; C.T. Ramachandra et al., Am. J. Agril. & Biol. Sci., 3 (2); 502:510, 2008

[6] Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Beurteilung der Verwendung von ganzen Blättern von Aloe arborescens und ihren Zubereitungen in Nahrungsergänzungsmitteln (Juni 2014)

[7] https://www.test.de/Aloe-Vera-1107149-2107149/ (abgerufen am 21.4.2017)

 

Artikel erstmals erschienen am 27.04.2017