Acrylamid

Dr. Carmen Breitling-Utzmann (CVUA Stuttgart)

 

Was ist Acrylamid?

Acrylamid ist ein in Lebensmitteln unerwünschter Stoff, der sich erst während des Herstellungsprozesses aus natürlich vorhandenen Inhaltsstoffen bildet. Diese Art von Stoffen wird auch als Prozesskontaminante bezeichnet. Im Jahr 2002 hat ein schwedisches Forscherteam erstmals hohe Konzentrationen an Acrylamid in erhitzten stärkehaltigen Lebensmitteln nachgewiesen. Bis dahin war Acrylamid nur als Ausgangsstoff für den Kunststoff Polyacrylamid in Erscheinung getreten. Die hohe Aufmerksamkeit, die dieser Prozesskontaminante seitdem gewidmet wird, liegt zum einen daran, dass sich Acrylamid im Tierversuch als erbgutverändernd (genotoxisch) und krebserregend erwiesen hat. Zum anderen kommt Acrylamid in Lebensmitteln vor, die sehr häufig verzehrt werden, z. B. in Pommes frites, Cornflakes oder Kaffee. Ob Acrylamid in den in Lebensmitteln vorkommenden Gehalten beim Menschen Krebs auslösen kann, ist bis heute immer noch offen. In einem Gutachten aus dem Jahr 2015 hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA dargelegt, dass Acrylamid in Lebensmitteln potenziell das Krebsrisiko für alle Altersgruppen erhöht. Aus Gründen des vorsorgenden gesundheitlichen Verbraucherschutzes sollte daher der Acrylamid-Gehalt in Lebensmitteln so weit wie möglich minimiert werden.

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Anstrengungen unternommen, den Bildungsweg von Acrylamid in Lebensmitteln aufzuklären, Acrylamid-Gehalte in verschiedenartigen Lebensmitteln zu untersuchen, sowie Minimierungsmaßnahmen auszuarbeiten. Es wurden inzwischen zahlreiche Einflussgrößen und Prozessparameter gefunden, die Einfluss auf die Acrylamid-Bildung haben und so eine Minimierung der Acrylamid-Gehalte in Lebensmitteln möglich machen. An diesen Aktivitäten waren auch die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter Stuttgart und Sigmaringen erfolgreich beteiligt.

 

Wie wird Acrylamid gebildet?

Acrylamid wird beim Erhitzen von Lebensmitteln immer dann gebildet, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind:

  • Die Aminosäure Asparagin liegt frei vor, anstatt im Eiweiß gebunden.
  • Reduzierende Zucker wie z. B. Traubenzucker (Glucose) oder Fruchtzucker (Fructose) sind vorhanden. Ab 150°C wirkt auch der Haushaltszucker Saccharose wie ein reduzierender Zucker.
  • Das Lebensmittel hat einen geringen Wassergehalt.
  • Die Temperatur in oder auf dem Lebensmittel beträgt über 100 °C.
  • Ammoniumsalze, wie z. B. Ammoniumhydrogencarbonat (ABC-Trieb, Hirschhornsalz) erhöhen die Acrylamid-Bildung sehr stark.

Zusammengefasst sind dies Bedingungen, wie sie beim industriellen oder haushaltsüblichen Backen, Rösten und Frittieren von Lebensmitteln vorkommen.

 

Wie kann die Acrylamid-Bildung in Lebensmitteln verringert werden?

Die in den letzten Jahren erarbeiteten Minimierungsmaßnahmen beinhalten am Beispiel von Kartoffelprodukten u. a. die Auswahl von Asparagin- und Zuckerarmen Kartoffelsorten für die Herstellung von Pommes und Chips, die richtige Lagerung der Kartoffeln und eine ausreichend niedrige Frittiertemperatur. Bei der Herstellung von feinen Backwaren wie z. B. Keksen oder Lebkuchen soll ebenfalls auf Asparagin-arme Getreidesorten zurückgegriffen, nach Möglichkeit auf das Backtriebmittel Ammoniumbicarbonat (ABC-Trieb) verzichtet, sowie v. a. nicht-reduzierende Zucker wie z. B. Saccharose verwendet werden.

Bei der Zubereitung von Lebensmitteln im eigenen Haushalt gilt v. a. der Grundsatz „Vergolden statt Verkohlen“.

 

Was regelt die neue EU-Acrylamid-Verordnung?

Nach Praxisleitfäden aus der Industrie wie z. B. der „Acrylamid Toolbox“ von FoodDrinkEurope und Empfehlungen der Europäischen Kommission zur Untersuchung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln (2013/647/EU) wurde im November 2017 die Verordnung (EU) 2017/2158 zur Festlegung von Minimierungsmaßnahmen und Richtwerten für die Senkung des Acrylamidgehalts in Lebensmitteln (EU-Acrylamid-VO) veröffentlicht. Die Verordnung gilt seit dem 11. April 2018.

In der EU-Acrylamid-VO sind nun erstmals konkrete Minimierungsmaßnahmen sowie die dadurch zu erreichenden Richtwerte für Acrylamid in einer rechtlich verbindlichen EU-Verordnung festgelegt. Ferner werden Lebensmittelunternehmer rechtlich dazu verpflichtet, selbst Untersuchungen ihrer Lebensmittel zu veranlassen, um den Erfolg der Minimierungsmaßnahmen zu überwachen, sowie Maßnahmen und Analysenergebnisse entsprechend zu dokumentieren.

Zunächst wurden Richtwerte für Produktkategorien festgelegt, die zum einen potentiell stärker belastet sind als andere Lebensmittel, wie z. B. Pommes frites, Kartoffelchips oder Lebkuchen und zum anderen aufgrund ihrer hohen Verzehrs Häufigkeit und -menge zu einer nennenswerten Acrylamid-Aufnahme durch den Verbraucher beitragen können wie Brot, Kaffee oder Cornflakes.

Die Höhe der einzelnen Richtwerte ist technologisch begründet. Letztlich ist für die Höhe der Richtwerte entscheidend, auf welches Niveau der Acrylamid-Gehalt einer Produktgruppe wie z. B. Pommes frites mit einem vertretbaren technologischen Aufwand gesenkt werden kann, ohne dass die charakteristischen organoleptischen Eigenschaften wie der Geschmack, das Aussehen oder die Textur des Lebensmittels entscheidend verändert werden.

 

Was passiert, wenn ein Richtwert überschritten wurde?

Das CVUA Stuttgart untersucht regelmäßig die in der EU-Acrylamid-Verordnung geregelten Produktgruppen hinsichtlich ihres Acrylamid-Gehalts. Die Überschreitung eines Richtwerts führt aber nicht automatisch zu einem Verkehrsverbot des betroffenen Produktes. Vielmehr ist der verantwortliche Lebensmittelunternehmer verpflichtet, die durchgeführten Minimierungsmaßnahmen und Ergebnisse von Eigenuntersuchungen gegenüber der zuständigen Lebensmittelüberwachungsbehörde darzulegen, sowie ggf. im Anschluss weitere Minimierungsmaßnahmen zu veranlassen.

 

Ausblick

Unsere Untersuchungsergebnisse des letzten Jahres zeigen, dass die Richtwerte der neuen EU-Acrylamid-VO bei den allermeisten Proben eingehalten werden. In der Regel schöpft der in den Proben nachgewiesene Acrylamid-Gehalt den Richtwert nicht einmal zur Hälfte aus (siehe Tabelle 1). Für die Hersteller von in der EU-Acrylamid-VO geregelten Produktgruppen sollte die neue Verordnung daher keine großen Auswirkungen haben – die neu hinzugekommenen Untersuchungs- und Dokumentationspflichten einmal ausgenommen. Für diese Produktgruppen existieren seit Jahren gut erforschte Minimierungsmaßnahmen bezüglich der Reduzierung des Acrylamid-Gehalts.

 

Tabelle 1: Acrylamid-Gehalte in µg/kg in Lebensmitteln, die in der EU-Acrylamid-VO geregelt sind (Proben 2018)
Lebensmittel
(Anzahl Proben)
Minimum
Median
Maximum
Richtwert VO (EU) 2017/2158
> Richtwert
Ausschöpfung Richtwert (Median)
Pommes frites (26)
n.n.
150
2000
500
2 (8 %)
30 %
Kartoffelchips (26)
61
275
1400
750
3 (11 %)
37 %
Knäckebrot (32)
n.b.
110
600
350
3 (9 %)
31 %
Kekse und Waffeln (33)
inkl. Spekulatius
n.n.
51
720
350
1 (3 %)
15 %
Lebkuchen (30)
n.n.
102
1800
800
4 (13 %)
13 %
Röstkaffee (31)
95
160
330
400
-
40 %
Instantkaffee (11)
420
660
910
850
1 (9 %)
78 %
Kaffeemittel aus Getreide und/oder Zichorie (8)
220
510
1500
500 bis 4000
-
- 1)
Kekse/Zwieback Kleinkinder (11)
n.n.
30
300
150
1 (9 %)
20 %

n.n. = nicht nachweisbar (< 10 µg/kg Acrylamid)
n.b. = nicht bestimmbar (< 30 µg/kg Acrylamid)
1) Berechnung der Ausschöpfung nicht pauschal möglich, da Richtwert vom Anteil Zichorienkaffee abhängt

 

Anders sieht es in manchen Lebensmitteln aus, für die noch keine Acrylamid-Richtwerte bestehen. So wurden in Gemüsechips Acrylamid-Gehalte gefunden, die die von Kartoffelchips bei Weitem übersteigen. Deshalb sollte bei der Entwicklung von neuen Produkten auch die Möglichkeit der Acrylamid-Bildung nicht außer Acht gelassen und Minimierungsmaßnahmen von vornherein angewandt werden.

Am CVUA Stuttgart werden daher immer wieder auch Lebensmittel auf Acrylamid untersucht, die bislang noch nicht in der EU-Acrylamid-VO geregelt sind.

 

Links

Weitere Informationen finden Sie auch unter folgenden Links:

 

 

Artikel erstmals erschienen am 09.04.2019